Meine Endstation Hamburg |
Kindheit und Jugend, Lebenserinnerungen
Inhaltsverzeichnis / Entwurf / Baustelle / Werkstatt:
Aus: Die Niederschrift des Gustav Anias Horn II
"Der Leib vergeht und schwindet dahin,Während andere bleiben - so ist es seit den Tagen der Ahnen.Die einst Häuser bauten - ihre Städten sind nicht mehr.Was ist aus ihnen geworden?Die Götter, welche früher waren, ruhen in ihren Pyramiden.Deren Sprüche weit berühmt sind - -Doch wo sind ihre Stätten?Ihre Mauern sind zerfallen,Die Orte sind nicht mehr -Als wären sie nie gewesen.Niemand kommt wieder von dort,Daß er uns erzähle, wie es ihnen ergeht,Daß er unsere Herzen beruhige,Bis auch wir zu dem Ort abscheiden,Zu dem sie gegangen sind. -Ermutige dein Herz, es zu vergessen,Und laß es an das denken, was Dir nützlich ist!"
Vorwort
Skizze zu Manfred Zielke von Heinz Richheimer (Mai 1990) |
Warum noch eine Kinderheimgeschichte wird sich der eine oder andere Leser fragen. Ist nicht schon genug darüber geschrieben worden und sollte nicht endlich einmal Schluss sein? Ich sage nein! Das begangene Unrecht an so vielen Menschen, an Säuglingen und auch Behinderten war flächendeckend und systemimmanent. Die Ursachen für derartige Zustände mögen in der Vergangenheit liegen, und damit meine ich im besonderen das Dritte Reich und den Nationalsozialismus. Aber es galt im Nachkriegsdeutschland spätestens mit Beginn der Fünfziger Jahre das durch die westlichen Siegermächte auf den Weg gebrachte Grundgesetz für das damalige Westdeutschland, und dieses wurde im Rahmen der Heimerziehung, und nicht nur dort geradezu ignoriert, passiv bekämpft und auch mit Füßen getreten. Hier haben staatliche Stellen ihre große Verantwortung gegenüber Schutzbefohlenen nicht richtig wahrgenommen, und im Schulterschluss mit den beiden großen Kirchen in Deutschland gehandelt. Kinder wurden aus ihren Familien gerissen, oft unter heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen, die sich noch aus der NS-Ideologie speisten, und die die Zukunftsperspektiven der Zöglinge verbauten. Diese von mir vorgetragenen Feststellungen sind heute unumstritten, aber immer noch müssen Ehemalige darum kämpfen, rehabilitiert zu werden, und um die Anerkennung des einst begangenen Unrechtes.
Die bisher zustande gekommenen Übereinkünfte, um Gerechtigkeit auf den Weg zu bringen sind durchaus kritikwürdig. Wieder einmal läuft es bei der Wiedergutmachung darauf hinaus, dass im Sinne eines Obrigkeitdenkens geprüft wird, wer einen Anspruch auf Entschädigung hat, und genau die einstigen Verantwortlichen wollen diese Aufgabe wahrnehmen. Diese Vorgehensweise halte ich für bedenklich, denn sie führt zwangsläufig zur Selektion. Die Jugendämter, Vormundschaftsgerichte und die Kirchen werden viel zu wenig in die Pflicht genommen, und sie sollten dazu angehalten werden glaubhaft nachzuweisen, wer und wann unter ihrer Obhut stand. Das wäre der ehrliche und richtige Weg, und erst dann soll man meinetwegen Anspruchsberechtigungen auf Entschädigung über die noch einzurichtenden sogenannten 'Anlaufstellen' prüfen. Dieser Weg wird nach meiner Ansicht aus Kostengründen nicht begangen, und wir werden als Verlierer und Opfer eines Zeitgeistes in die Geschichte eingehen, weil man unsere Biographien, die Kindheit und Jugend betreffend, vernichtet hat, und somit das Wort Fürsorge ad absurdum geführt wurde. Da bin ich mir ziemlich sicher, wenn wir auch nicht die einzigen in der Nachkriegsgeschichte sind, denen es so erging oder ergangen ist.
Von einer Demokratievorstellung wie sie bei den öffentlichen Sitzungen zum Thema Stuttagart 21 zum Ausdruck kam, ist man bei der Aufarbeitung in Sachen Heimerziehung noch Lichtjahre entfernt und mißt dem Anliegen der Opfer der Heimerziehung gesellschaftlich gesehen, auch viel zu wenig Bedeutung bei. Damit will ich zum Ausdruck bringen, dass ich die Zusammensetzung des Runden Tisches Heimerziehung unter dem Vorsitz von Antje Vollmer, der ja keinesfalls paritätisch besetzt war, als höchst unbefriedigend empfinde, sowohl was die Resultate betrifft, aber auch die geringe Bereitschaft hinsichtlich der Höhe der Entschädigungsleistungen, zumal in anderen Ländern wie Irland und Österreich bessere Ergebnisse erzielt worden sind.
Es bleibt zu wünschen, dass die durch den sexuellen Missbrauch Geschädigten in Deutschland mehr Aufmerksamkeit erfahren, und dass ihnen vorbehaltslos geholfen wird. Die Täter, angesiedelt im Bereich der Pädagogik und im Umfeld der Kirchen, als auch aus dem privaten und familiären Milieu kommend, sind zu verurteilen, sowweit es die Gesetzeslage zulässt, und Prävention muss Priorität haben.
Der Hintergrund für meine Darstellung und Erzählung ist der Versuch, einer Aufarbeitung der eigenen Lebensgeschichte von Geburt an, bis zur Erreichung der Volljährigkeit, damals noch im Alter von 21 Jahren, also in meinem Fall im Jahre 1969. Die meisten meiner sieben Geschwister, sofern sie denn noch leben, könnten eine ähnliche Geschichte erzählen, und ich werde darauf noch näher eingehen, im besonderen, was die Kapitel zu Gladbeck, Duisburg, aber auch Bochum und Dortmund betrifft. 'Was ist schief gelaufen und wo sind die Knackpunkte', hinterfragte einst Mitte der 80er Jahre der damalige Leiter der AWO Duisburg, die für mich und meine sieben Geschwister die Vormundschaft innehatte, in meiner Gegenwart als ich ihn aufgesucht hatte. Eine befriedigende Antwort konnte er nicht geben. Nach eigenem Erleben und eigenen Erfahrungen, aber auch über den Weg der Recherche, tragen die damals Verantwortlichen eine Mitschuld aus meiner Sicht. Wenn ich auch zunächst mal das Fehlverhalten meiner Eltern sehe, so war doch im weiteren Verlauf das Jugendamt in der Pflicht, welches uns Geschwister nach dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) und im Anschluss daran nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) betreute. Dieser Verpflichtung wurde nicht genügend Rechnung getragen, denn sonst wären manche Begebenheiten, sehr leidvoll und schmerzlich, erst gar nicht geschehen. Meine Eltern waren in jeder Beziehung unfähig, Kindern ein wohlbehütetes Zuhause zu bieten. Nachdem dies von den entsprechenden Behörden zunächst mal erkannt worden war, mit der Folge von Heimerziehung, hätte man uns Kinder niemals wieder in die Obhut der Eltern geben dürfen. Das ist neben allen anderen schrecklichen Erlebnissen im Zusammenhang mit der Heimerziehung mein Generalvorwurf an die Verantwortlichen staatlicherseits, die einfach versagt haben, auch wenn es sich im Einzelfall wegen dem Fehlen der Akten nicht mehr nachweisen lässt.
Zu meiner Familie sei rückblickend gesagt: Unabhängig von einer mir nicht bekannten Vorgeschichte im Zusammenhang mit dem Jugendamt der Stadt Gladbeck, wurde unsere Familie im Jahre 1953 nach den damals geltenden Kinder- und Jugendgesetzen 'aufgelöst', wovon zunächst fünf Kinder betroffen waren. Mein jüngerer Bruder Peter und ich wurden nach einigem hin und her (es war wohl nicht unser erstes Heim) in die Gotteshütte zu Kleinenbremen verbracht. Hildegard und Egon kamen in das Marthaheim der Stadt Gladbeck, ebenfalls mein zum damalilgen Jahresende geborener Bruder Rainer, was den Schluss nahelegt, dass das Marthaheim in Gladbeck eine Säuglingsabteilung gehabt hatte. Was nun in den Jahren von 1953 bis 1956 geschah entzieht sich meiner Kenntnis. Irgendwann nach unserer Heimeinweisung, flüchteten vermutlich meine Eltern aus Gladbeck und haben dort auch nie wieder gewohnt. Ob sie dies gemeinsam taten, bliebe zu klären, denn meine Mutter ließ sich im April 1955 scheiden.
Jedenfalls wurden ein paar Jahre später in Karl-Marx-Stadt im Krankenhaus Flemmingstraße, meine weiteren Geschwister Michael 1956, Hubert 1957 und Sylvia 1958, geboren.
Unsere Eltern haben am 8.Juli 1950, also nach meiner Geburt (1948) und der von Peter (1950), vor dem Standesamt Gladbeck geheiratet. Merkwürdigerweise ist dies erst am 3. Dezember 1951 im Familienstammbuch festgehalten. Gleiches gilt für den Eintrag meiner Geburt, sowie der von Peter und der von Hildegard (1951). Die Eintragungen meiner weiteren Geschwister Egon (Jan.1953), und Rainer (Dez. 1953), sind dort ebenfalls weit nach ihrer Geburt, nämlich am 16. Februar 1956 im Familenstammbuch der Stadt Gladbeck festgehalten.
Gesichert ist, dass meine Mutter seit dem 14. April 1955 rechtskräftig geschieden war, und am 7. Juli 1956 In Oelsnitz, Kreis Stollberg (DDR), meinen Vater wieder geheiratet hat. Ein Familienstammbuch, ausgestellt vom Standesamt Oelsnitz, habe ich nie gesehen,aber aus dem neuerlichen Heiratsdatum in Oelsnitz ergibt sich, dass außer mir und Peter auch Michael unehelich zur Welt kam.
Vermutlich im Jahre 1959/60 sind meine Eltern mit den drei jüngsten Kindern nach Duisburg-Hamborn (BRD) gezogen. und aufgrund dessen muss es zu Verhandlungen, bzw. Vereinbarungen zwischen dem Jugendamt der Stadt Gladbeck und dem Jugendamt der Stadt Duisburg gekommen sein, in welche Obhut denn nun die noch vier in Gladbeck verbliebenen Geschwister und Peter (immer noch in der Gotteshütte) kommen sollten. Egal was damals beschlossen wurde; für uns Geschwister begann ab 1960 eine leidvolle Zeit, als wir endlich alle zusammen wohnten, und dann der notwendigen Sorgfaltspflicht für Schutzbefohlene gelinde gesagt, zu wenig Bedeutung und auch Beachtung beigemessen wurde.
1962 war es dann ähnlich wie 1953 und die Familie, nunmehr mit acht Kindern, brach abermals und nun endgültig auseinander. Das war wohl mit einer der schwärzesten Tage in meinem jungen Leben, und ich sollte die Wohnung in Duisburg-Hamborn nie wiedersehen, und wußte kaum etwas über den Verbleib der Mutter und der Geschwister, denn alles hatte sich während meiner Abwesenheit in den Sommerferien, die ich in Gladbeck bei der Großmutter verbrachte, abermals aufgelöst - die elterliche Wohnung war verwaist. Auch das Zwischenzeugnis vom letzten Schuljahr der achten Klasse, welches ich nach den Sommerferien erhalten sollte, und woran ich hohe Erwartungen geknüpft hatte bekam ich niemals mehr zu Gesicht. Nur Egon, damals ungefähr neuneinhalb Jahre alt, der konkret die letzten Tage in der Wohnung aus seiner Sicht miterlebt hatte, konnte mir später so einiges berichten. Vieles habe ich allerdings vergessen, etwa z. B. wo man zunächst meine Geschwister provisorisch unterbrachte.
Meine Mutter hat sich noch einmal von meinem Vater scheiden lassen und ist am 13. Februar 1963 erneut eine Ehe eingegangen, und dies vor dem Standesamt in Essen. Ihr neuer Lebensgefährte war für mich keine Unbekannter. Immerhin hatte er mich auf Geheiß meiner Mutter einmal kräftig verprügelt, und wie ich noch heute meine, zu Unrecht. Desweiteren haben sich abermals traurige und unzumutbare Ereignisse zugetragen, wovon mene Geschwister Rainer und Sylvia betroffen waren. Bei einer genaueren Prüfung durch die damaligen Verantwortlichen hätten dies so nicht geschehen können. Noch heute kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass man meiner Mutter gegenüber zu nachgiebig war, was uns Kinder betraf, anstatt genauer hinzusehen und zu prüfen. Denn nach allem was mir heute einleuchtet, war sie mit dem Aufziehen von Kindern total überfordert, und dies in jeder Hinsicht. Bei weitem größer hat sich aber mein Vater schuldig gemacht, der durch seinen verantwortungslosen Lebenswandel uns Kindern schweren Schaden zugefügt hat. Da wo wir Liebe, Zuneigung und Geborgenheit gebraucht hätten, war von alledem nichts zu spüren, und wir waren einem Tyrannen ausgeliefert, der sich jähzornig und brutal an uns Kindern vergangen hat; dem Gesetze schnuppe waren, und der auch nicht vor sexuellem Mißbrauch zurückgeschreckte.
Selbst Psychoterror übte er aus, wenn er sich gewiß war, dass ihm auserhalb der Familie niemand auf die Finger schaute. Darauf werde ich später noch zu sprechen kommen.
Dieser Vorspann ist wichtig zum besseren Verständnis all dessen, was ich hier zu erzählen habe.
Dem geneigten Leser ist es erlaubt, sich an dieser Arbeit zu beteiligen. Er darf Kritik üben, mir gute Ratschläge erteilen, oder er/sie kann mir bestenfalls sogar helfen, meine Erinnerungslücken zu schließen. Das kann sachliches oder auch fachliches Wissen sein, es kann das ortsbezogene Wissen betreffen oder ich stoße durch meine Darlegungen vielleicht sogar auf Leute, die meine Eltern noch gekannt haben, bzw. deren Klassenkameraden/innen usw.. Das Internet und seine Errungenschaften des nahezu grenzenlosen Datenaustausches machen es möglich. Über meine mailadresse bin ich fast zu jederzeit erreichbar.
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1. Die ersten Lebensjahre in ...
Gladbeck Horsterstr. 19
2. Die Zeit in der Gotteshütte ...
Erziehungsheim Gotteshütte
3. Das Marthaheim...
Gladbeck Im Marthaheim dahei Josef Sprenger,LokalerZeitzeuge
Hermannstraße 16
4. Horrorjahre in ...
Duisburg Warthestraße 3
5. Ein Gastspiel in ...
Bochum Am Neggenborn 77
6. Meine Jugend in ...
Dortmund
Holzheck 16
Im Defdahl 61
Griesarstraße 14
Burgholzstraße 34
7. Das Abenteuer Bundeswehr ( Seeth / Drage / Süderstapel )
Stapelholmer Kaserne
Süderstapel |
8. Epilog/Schlussbetrachtungen
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1. Die ersten Lebensjahre in Gladbeck
Der zweite Weltkrieg, schrecklicher und ungeheuerlicher als alle Kriege zuvor, und von deutschem Boden ausgehend, war schon einige Jahre zu Ende, als ich im Nobember 1948 im St. Barbara Krankenhaus in Gladbeck zur Welt kam. Es war schon spät abends und was mag meine Mutter wohl nach meiner Geburt gedacht haben, zumal sie einen Tag davor ihren zwanzigsten Geburtstag erlebt hatte. Sie sollte noch weiteren sieben Kindern das Leben schenken, wobei ich mit dem Verb 'schenken' sehr vorsichtig umgehen muß. Meine jüngste Schwester Sylvia, und zugleich ihr letztes Kind, kam 1958 auf die Welt und wurde in Karl-Marx-Stadt geboren. Von meinem Vater weiß ich sehr wenig, aber er muß ein fürchterlich unbeherrschter Mensch gewesen sein, und einer von der Sorte, die man nach heutigen Maßstäben wegen Kindesmisshandlung verurteilt hätte. Seinen Charakter habe ich noch sehr schmeichelhaft umschrieben. Es ist aber durchaus möglich, dass ihn der Tod seines Vaters, also meines Großvaters durch die Nazis, geschehen im KZ Groß Roosen zu einer Zeit, wo er ihn am meisten gebraucht hätte, aus der Bahn geschmissen hat. Aber das ist alles reine Spekulation.
An meine ersten Lebensjahre, bis ungefähr zum fünften Lebensjahr, habe ich so gut wie keine Erinnerung. Ich schreibe dies den Lebensumständen zu, die gewiss nicht leicht gewesen sein dürften, und darum bin ich beim Niederschreiben oft gezwungen, den Konjunktiv zu benutzen. Ich habe eine vage Erinnerung, die zwischenzeitlich schon sehr verblasst ist, an eine aus drei Bauten bestehende Barackenanlage, welche hintereinander standen, und vermutlich nach dem im Volksmund gebräuchlichen Namen 'Pampashonigheim', benannt wurden. Alles war umgeben von einem schwarzem Ascheplatz, und auf dem befand sich einiges Kinderspielzeug, wie ein Dreirad, ein Roller und dergleichen Dinge mehr. Eines Tages, wir Geschwister, damals zwei Jungen und ein Mädchen waren mit der Mutter allein zu haus, fuhr ein Auto vor. Die aussteigenden Personen, darunter mindestens ein Polizist, holten uns Kinder ab, und ich erinnere mich an meine heftige Gegenwehr, in dem ich vergeblich versuchte, mich an einem Stuhl festzuhalten. Das alles dürfte wohl im August 1953 geschehen sein.
Danach setzte mein Gedächtnis aus, und irgendwann Monate später in der Gotteshütte zu Kleinenbremen, rund 200 Km von Gladbeck entfernt, setzte es wieder ein, als wäre ich niemals zuvor woanders gewesen. Erst an diesem Ort lernte ich mich selbst als Kind und als Mensch bewusst wahrzunehmen, denn alles was zuvor geschehen war, hatte ich vergessen. Heute würde ich in diesem Zusammenhang von Traumatisierung sprechen.
Danach setzte mein Gedächtnis aus, und irgendwann Monate später in der Gotteshütte zu Kleinenbremen, rund 200 Km von Gladbeck entfernt, setzte es wieder ein, als wäre ich niemals zuvor woanders gewesen. Erst an diesem Ort lernte ich mich selbst als Kind und als Mensch bewusst wahrzunehmen, denn alles was zuvor geschehen war, hatte ich vergessen. Heute würde ich in diesem Zusammenhang von Traumatisierung sprechen.
Meine ersten Lebensjahre dürfte ich jedoch in Gladbeck in der Horster Str. 19 unter dem Dach eines dreigeschossigen Mietshauses zugebracht haben; eine Hauptstraße, auf der eine Straßenbahn fuhr, und von der Wohnung aus hatte man einen prächtigen Blick hin zum Rathaus, als auch in Richtung Marktplatz. Das Gebäude war ein Eckhaus, Ecke Körnerstraße, welche eher wie eine Gasse wirkte und befand sich im Scheitelpunkt einer Kurve. Gleich unweit daneben stand unübersehbar die große Lambertikirche, deren Turm nebst Turmuhr man von einem Dachlukenfenster aus sehen konnte.. Das Haus steht heute schon lange nicht mehr. Der Hauseingang befand sich in der Körnerstraße. Über einen schmalen dunklen Flur gelangte man in einen Innenhof, der mit hohen Mauern umschlossen war. Von dort führte eine hohe Steintreppe in den ersten Stock und man kam ins Treppenhaus. Von der Hofebene her, gelangte man ebenfalls ins Treppenhaus und hinab zu den Kohlenkellern. Im Haus war es ziemlich dunkel, und die Holzstiegen, sowie das Geländer der Treppe glänzten bei fahlem Lichteinfall rot bräunlich, und es roch nach Bohnerwachs. Alles war peinlich sauber gehalten. Desweiteren befanden sich ebenfalls im Treppenhaus die Gemeinschaftstoiletten, die jeweils eine Treppe tiefer zwischen den Stockwerken zu erreichen waren. Das Erdgeschoss als solches war eine große Ladenfläche und ich meine, darin befand sich ein Tuch- oder Textilgeschäft mit großen Schaufenstern zur Hauptstraße hin. Der Besitzer Mietshauses, war ein ernster alter Mann mit grauem, strähnigen Haar, den ich ihn in den achtziger Jahren bei Nachforschungen zu meinen Großeltern kennenlernte. Er war ein Kohlenhändler, dessen Betriebshof gar nicht weit entfernt von der damaligen Wohnung an einem beschrankten Bahnübergang lag, unweit vom Ostbahnhof Gladbeck, und der meinen Großvater noch gekannt hatte. Ich berichte all dies hier ohne genaue Erinnerung, weil es zu meinen ersten Lebensjahren gehörte. Bewußt lernte ich das Haus kennen, als ich neun Jahre alt war, und in Begleitung einer Fürsorgerin, zusammen mit meinem Bruder aus der Gotteshütte zum Marthaheim in die Herrmannstraße nach Gladbeck verbracht wurde. Nochmal einige Zeit später erzählte mir meine Oma, dass der Nachbar aus dem ersten Stock sie und den Opa angezeigt hätten, weil er sie dabei ertappte, Feindsender zu hören. Vermutlich geschah dies im Zusammenhang mit dem Trockenboden unterm Dach, der sich gleich neben der Mansardenwohnung meiner Großeltern befand. In der Folge wurden beide in Schutzhaft genommen, nach Zweckel in ein Lager verbracht, und während mein Großmutter nach einigen Wochen wieder frei kam, wurde der Großvater über einige andere Arbeitslager in das KZ Groß Roosen eingewiesen, wo er dann letztlich verstarb. "Es wurde leider vergeblich alles medizinisch mögliche versucht, um seine Gesundheit zu erhalten", waren gewöhnlich die Standardformulierungen, welche man in solchen Fällen den Familienangehörigen zukommen ließ. Eine Urne und ein Dokument war alles, was von ihm übrig blieb - alles lange vor meiner Geburt. Die genaueren Umstände sind mir bis heute nicht bekannt. (wird fortgesetzt) M. Zielke
1 Kommentar:
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